„Tauchen muss nicht mehr weh tun“
Nicht nur die Ausrüstung hat sich in den letzten Jahren rasant weiter entwickelt.
Auch die Tauchausbildung sieht heute ganz anders aus, als vor 20 Jahren
Im Mai waren Iris und Robert zum ersten Mal in Ägypten. Nach vier Tagen entschlossen sie sich zu einem Schnuppertauchkurs und waren begeistert. Doch leider war die Woche zu knapp bemessen, um jetzt noch mit dem Kurs zu beginnen. Im September, so schworen sie, würden sie wieder kommen und ihren Tauchkurs absolvieren. Bis hier hin hätte die Geschichte auch vor 20 Jahren spielen können. Doch vor 20 Jahren hätten die beiden wohl kaum im heimatlichen Berlin einen weiteren Schnuppertauchgang im Schwimmbad gemacht und ganz sicher nicht schon eine Menge Lehrmaterial aus dem Internet heruntergeladen.
Noch in den frühen 90er Jahren teilten sich PADI und CMAS die Taucherwelt fast alleine untereinander auf. Organisationen wie NAUI, DIWA und auch SSI spielten eine sehr untergeordnete bis gar keine Rolle. PADI oder CMAS das bedeutete eine Glaubensfrage wie Beatles oder Stones, Wrangler oder Levis, Adidas oder Puma. In der Tat jedoch machte das beim Tauchen einen großen Unterschied. So war es vielerorts in Deutschland undenkbar, in einem Schwimmbad einen Schnuppertauchgang zu machen – wenn man nicht dem örtlichen Tauchclub angehörte. Der wiederum war über den Verband Deutscher Sporttaucher und damit CMAS organisiert. Die gegenseitigen Vorurteile lappten ins Absurde, etwa dergestalt, dass sich CMAS-Taucher nur in schlammigen kalten Baggerlöchern in Deutschland wohlfühlten, während die „Ferientaucher“ mit PADI-Brevet Badewasser warme Temperaturen und klare Sicht für ihr Hobby benötigten.
In der Tat unterschieden sich die Ausbildungswege. Während CMAS eher auf die sportlich-anspruchsvolle Seite des Tauchens setzte, öffnete sich PADI für die Breite – unter Einhaltung höherer Sicherheitsstandards.
Mit SSI kaum auch die Wende
Inzwischen hat SSI den Platzhirschen PADI und CMAS schwer zugesetzt. Die letzteren haben das Kriegsbeil längst begraben und dass ein PADI-Brevet auf einer CMAS-Basis anerkannt wird, ist mittlerweile fast weltweit selbstverständlich. Es ist beinahe ebenso selbstverständlich wie die Tatsache, dass sich Iris und Robert bei der Tauchbasis „Tauchen unter Freunden“, einem PADI 5-Star-Center in Hurghada, aussuchen können, nach welchen Richtlinien sie ausgebildet werden. Alle drei großen Organisationen stehen zur Wahl.
Am Ende haben sich die beiden für PADI entschieden. Doch das Unterrichtsprogramm hätte sich nun von SSI und CMAS wenig unterschieden. Freilich sind die Lehrinhalte in vielen Bereichen die gleichen geblieben. Nach wie vor büffeln die Schüler die fünf wichtigen physikalischen Gesetze, lernen, wie eine Maske ausgeblasen wird, oder, wie ein Taucher seinen verlorenen Lungenautomaten wieder einfängt. Doch das ein oder andere ist über Bord gegangen. Iris hatte sich vor der Übung mit der Wechselatmung gegrault. Ihr Kumpel hatte ihr da vor dem Tauchkurs wahre Horrorgeschichten erzählt. Doch diese Übung kommt gar nicht. Stattdessen lernen beide den Umgang mit dem Oktopus. „Aufgrund der heutigen Ausrüstungskonfiguration wird die Wechselatmung von PADI inzwischen als optional eingestuft und muss nicht mehr gelehrt werden“, erklärt Ute Renung. Ihr gehört die Tauchbasis und sie erinnert sich noch teils mit Schrecken, teils mit Belustigung an die Zeiten vor einem Vierteljahrhundert, als sie selbst mit dem Tauchen begann. „Tauchen muss heute nicht mehr weh tun“, meint sie verschmitzt. Allerdings erinnert sie sich auch noch an andere Dinge, die so in der Ausbildung nicht mehr vorkommen. „Früher musste man ein richtig guter Sportler sein, zum Beispiel für das Geräteschnorcheln auf Strecke.“
Da haben es die beiden angehenden Taucher aus Berlin doch leichter. Dank ihrer Schnuppertaucherfahrung gestalten sich die Flachwasser-Tauchgänge schnell und problemlos. Allerdings haben sich die Eingangsbedingungen ebenfalls ein wenig geändert, schildert Ute: „Zwar werden auch heute zum Beispiel durch Schwimmtests verschiedene Fertigkeiten an der Wasseroberfläche geübt, die Übungsbereich sind jedoch variabler geworden und die Anforderungen haben sich verändert.“
Schon bald dürfen die beiden Anfänger mit aufs Boot. Auch im tieferen Wasser geht alles glatt. Ihr Tauchlehrer Jozef lobt die beiden: „Die beiden stellen sich richtig gut an.“
Das Pauken der Theorie ist inzwischen auch wesentlich angenehmer geworden. Natürlich gibt es noch das Lehrbuch, aber begleitend dazu dürfen die beiden auch noch Videos sehen, die das zuvor praktische erlernte, weiter vertiefen oder auf die neuen Aufgaben innerhalb des Kurses vorbereiten.
In den letzten 20 Jahren haben sich in vielen Ländern und den meisten Organisationen hohe Sicherheitsstandards durchgesetzt. Noch Anfang der 90er Jahre konnte zum Beispiel in Hurghada jeder Taucher ungehemmt auf Tiefenjagd gehen. Tiefenlimits galten in manchen Tauchbasen eher als unverbindliche Empfehlung. Es kam bereits einer Revolution gleich, als sich mehrere Basen zusammenschlossen und ein gemeinsames Tiefenlimit auf 40 Meter vereinbarten. Mittlerweile gilt in ganz Ägypten eine Tauchtiefenbegrenzung von 30 Metern, auf den Malediven schon seit langem von 100 Fuß (33 Meter).
Nitrox ist heute selbstverständlich
Der Kurs für Iris und Robert neigt sich so langsam dem Ende zu. Da kommt das Thema Nitrox zu Sprache. Noch vor 20 Jahren hielten viele Sporttaucher Nitrox für ein Tieftauchgasgemisch, das für Off-Shore-Taucher entwickelt worden sei. Inzwischen ist das Sauerstoff angereicherte Atemgemisch auf vielen Tauchbasen Standard, etliche, wie auch „Tauchen unter Freunden“ verlangen dafür nicht einmal mehr Aufpreis. „Es dient einfach der größeren Sicherheit“, erklärt Tauchlehrerin Kerstin. Sie hat erst vor ein paar Monaten ihren Instruktorschein gemacht, stammt also aus einer ganz anderen Tauchergeneration, als ihre Chefin Ute. Für Kerstin ist das Tauchen mit Nitrox ebenso selbstverständlich, wie es für die „alten Hasen“ das Tauchen mit Luft ist. Doch von denen fremdelt noch manch einer mit der Mischung, die aus dem schwarzen Alchimistenkasten der Tech-Diver zu stammen scheint. Ute erinnert sich: „Früher hielten viele Taucher Nitrox für ungesund, gefährlich und sie glaubten, dass man sofort in die Luft fliegt, wenn man nur die Flasche aufdreht.“
Die beiden Berliner sind indes schnell vom Vorteil des Nitrox-Tauchens überzeugt und so wird der relative kurze Theoriekurs einfach noch an den Open-Water-Kurs angehängt.
Doch nicht nur für die beiden wird das Tauchen dadurch sicherer. Auch die Basis hat, seit der Großteil der Gäste mit dem Gemisch taucht, weniger Probleme. „Da Nitrox auf den erlaubten Tiefen eine viel größere Nullzeit erlaubt, ist das Tauchen nicht nur sicherer, sondern auch viel entspannter“, erklärt Kerstin.
Für die beiden steht nun noch die Prüfung an. Natürlich werden beide von einer leichten Nervosität geplagt. An der Examensangst hat sich in den vergangenen 20 Jahren wenig geändert. Doch sie sind gut präpariert und bestehen den Abschlusstest ohne Schwierigkeiten. Auf archaische Initiationsriten wird verzichtet. Dafür gibt’s an der Basis ein Dekobier und einige der „Alten Hasen“ erzählen abenteuerliche Geschichten, in denen ein Schnorchel, Mehl und Salzwasser eine abgründige Rolle spielen. Dass solche Absonderlichkeiten wie „Tauchertaufen“ inzwischen fast ausgestorben sind, hängt auch mit der Änderung in der Taucherklientel zusammen. Empfanden sich früher Taucher als verschworene, fast elitäre Gemeinschaft, ist ihre Leidenschaft inzwischen zum Breitensport geworden. In vielen Hotels ist das Tauchen eines von Dutzenden an Animationsangeboten, das von den Gästen auch entsprechend genutzt wird. An manchen Orten ist es schon die Ausnahme, dass Gäste an zwei Tagen hintereinander kommen.
Bei „Tauchen unter Freunden“ ist das noch anders. Die wenigsten Taucher kommen aus dem Le Pacha Hotel, dem die TuF-Basis angeschlossen ist. Die meisten werden von Hotels in ganz Hurghada eingesammelt und morgens per Taxi nach Sekala gebracht.
Kleine Tricks statt großer Tiefe
Iris und Robert haben zwei Wochen gebucht. Sie wollen nach dem Kurs unbedingt weiter tauchen, was durchaus sinnvoll ist. „Es ist ja wie mit dem Führerschein“, sagt Ute. „Das eigentliche Fahren lernt man ja auch erst nach der Fahrschule, eben durch Erfahrung.“ Und die sammeln die beiden Berliner in den nächsten Tagen ausgiebig. Das Tauchen macht ihnen inzwischen soviel Spaß, dass sie ein halben Jahr später schon wieder da sind und gleich den Advanced Open Water Diver Kurs machen. Der Fortgeschrittenen Kurs beinhaltet lediglich fünf Spezialkurse, diesmal ohne Abschlussprüfung. Orientieren und Tieftauchen muss sein. Außerdem entscheiden sie sich für „Suchen und Bergen“, „Wracktauchen“ und „Tarieren in Perfektion“. Früher führten die Tieftauchgänge auf 40 Meter, wo Rechenaufgaben gelöst werden und der eigene Name auf eine Tafel geschrieben werden mussten. Die Ergebnisse waren in der Regel kurios, aber anschaulich. Jetzt werden die Übungen auf 30 Meter absolviert. Jozef hat darüber hinaus einige andere verblüffende Tricks auf Lager, etwa präsentiert er einen Eidotter, der auf 20 Meter heil bleibt oder eine merkwürdige Frucht, die er in 30 Metern zerteilt und die sich dann überraschenderweise als Tomate heraus stellt.
Am Ende waren beide Kurse für Iris und Robert ziemlich entspannt. Sie haben sich sogar schon eigenes Equipment zugelegt. Am Arm tragen beide nun schicke, luftintegrierte Tauchcomputer, die in Größe und Form von einer normalen digitalen Armbanduhr nicht mehr zu unterscheiden sind. Ute lacht und sagt: „Ich zeig euch mal was.“ Sie kramt ein paar Sekunden in ihrem Büro und zieht dann ein graues unförmiges Kästchen mit Armriemen heraus. „Das war mein erster Tauchcomputer, der Deko-Brain.“ Als modisches Accessoire wäre das Ding wohl nie durchgegangen.
Am Ende fällt Ute noch ein Unterschied zu früher ein. Der Umweltschutz spiele in der Ausbildung eine viel größere Rolle. „Durch das Tauchen sind viel mehr Menschen für den Schutz der Unterwasserwelt sensibilisiert worden. Ohne Taucher gäbe es in Ägypten kaum einen Sinn für den Umweltschutz. Das Bewusstsein ist erst durchs Tauchen entstanden.“
Text und Foto: Peter S. Kaspar