Muränen, die verkannten Monster

Besser als ihr Ruf

In einer Verfilmung von Jules Vernes „20.000 Meilen unterm Meer“ muss sie als klassisches Monster herhalten: Die Graue Riesenmuräne geht zum Angriff über. Dass dieses Exemplar irgend etwas zwischen sechs und acht Meter mißt, ist natürlich Unfug, hat aber vielleicht zur Popularität von Muränen ähnlich viel beigetragen wie Peter Benchleys „Jaws“ zur Beliebtheit von Weißen Haien. Muränen gelten grundsätzlich als gefährlich, manche glauben, die seien heimtückisch und es gibt die abenteuerlichsten Theorien darüber, ob sie giftig seien. Tatsächlich sind Muränen viel besser als ihr Ruf.

Die Gefahr liegt auf dem Teller

Auch wenn so eine Riesenmuräne schon stattliche knapp zweieinhalb Meter länge erreichen kann, so ist kein einziger Fall bekannt, dass eine Riesenmuräne jemals einen Menschen unter Wasser getötet hat. Die einzigen Todesfälle stammen von bereits toten Muränen, die auf dem Teller von Feinschmeckern landeten. Schon den alten Römern galten Muränen als Delikatesse. Es gibt nämlich ein Problem, wenigstens was Riesenmuränen betrifft. Ihr Fleisch kann stark mit Ciguatera-Gift belastet sein. Das führt bei einem Menschen zu einer klassischen Fischvergiftung, an der immerhin sieben von 100 Patienten sterben.

Trotzdem ist Vorsicht geboten

Riesenmuräne (Gymnothorax javanicus) | Giant moray (Gymnothorax javanicus)
Riesenmuräne, freischwimmend bei Tag. Eigentlich ist das eine eher untypische Verhaltensweise: Foto:mk

In einem Fallbeispiel aus dem Buch „Gefährliches Meerestiere“ heißt es: „Ein Riesen-Drückerfisch, ein Sägebarsch und eine Riesenmuräne wurden von einem jungen Taucher gefüttert. Die Muräne war offensichtlich sehr an der Fütterung interessiert. Sie schwamm frei herum und suchte bei dem Taucher, seinem Tauchpartner und dem Fotografen nach der Futterquelle. Die Plastiktüte war undurchsichtig und so groß, dass der Taucher die Brocken nicht bequem herausholen konnte. Offensichtlich verlor
die Muräne die Geduld. Sie schnappte nach dem Daumen des Tauchers und hielt ihn fest. Kurz darauf
riss der Daumen ab und eine riesige Blutwolke verteilte sich im Wasser. Die Wunde wurde genäht und heilte.“ In vielen Tauchgebieten hat man reagiert und das Anfüttern grundsätzlich verboten. Früher war das Careless-Reef vor dem ägyptischen Hurghada bekannt für seine freischwimmenden Riesenmuränen. Das war allerdings ein Produkt jahrelanger Anfütterung. Tagsüber bleiben Muränen in ihren Höhlen. Sie gehen erst auf Futtersuche, wenn es dunkel wird. Nach dem Verbot hatte es noch Jahre lang gedauert, bis die Muränen wieder nachtaktiv wurden.

Keine Streicheltiere

Vor der Malediven-Insel Kuramathi lebte vor über 25 Jahren eine 2,14-Meter lange Riesenmuräne namens Emma, die sich nicht nur vom örtlichen Tauchlehrer streicheln ließ, sondern sich dafür sogar wie ein Hund auf den Rücken drehte. Heute sind solche Kunststückchen glücklicherweise nicht mehr en vogue. Einerseits wird so kein Nachahmungsprozess mehr erzeugt. Andererseits haben auch Muränen eine ebenso schützende wie empfindliche Schleimhaut, die das Streicheln nicht besonders gut verträgt.

Im Falle eines Falles

Wenn eine Muräne dann doch einmal zugebissen hat, was extrem selten passiert, dann ist die erste Hilfe nicht all zu schwer: Die Wunde reinigen, desinfizieren und dann schnell zu Arzt. Auf keinen Fall sollte die Wunde ausgesaugt, aus- oder eingeschnitten oder gar ausgebrannt werden. Der Besuch beim Arzt ist allerdings wichtig, um eine Sekundärinfektion zu verhindern. Der Zahnapperat von Muränen bringt es mit sich, dass Keime in die Wunde gelangen können, die eine solche Infektion auslösen können.

Lohnendes Betrachtungsobjekt

In einem gebührenden Abstand von mindestens einem Meter lohnt sich sich, auch ein paar Minuten bei einer Muräne zu verweilen. Dann wird man vielleicht Zeuge eines witzigen Schauspiels, etwa wenn ein Putzerfisch die Zähne seiner Muräne reinigt, plötzlich in ihrem Rachen verschwindet und dann aus einem Kiemenloch an der Seite wieder unbeschadet auftaucht.

Text: Peter S. Kaspar, Fotos: Manuela Kirschner

 

Mehr über Muränen, ihr Verhalten, ihre Verbreitung und ihre Vielfalt finden Sie in dem Buch „Gefährliche Meerestiere“

 

 

 

 

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