Mehr als Schrott
Standpunkt: Wracktauchen hat auch etwas mit Pietät zu tun
Manchmal, so erzählen manche Tauchlehrer, sei die Stimmung auf der Rückfahrt schon ziemlich gedämpft. Das unterscheidet einen Tauchausflug zur „Salem Express“ von Exkursionen zu anderen Tauchplätzen. Es ist nicht immer so, und vielleicht würde es ja an Bord hoch her gehen, wenn jene holländischen Sporttaucher bei der Tour dabei gewesen wären, die nun ein Anzeige wegen Störung der Totenruhe am Hals haben. Sie hatten das Wrack des Kleinen Kreuzers „Mainz“ betaucht. Das Kriegsschiff war vor schon kurz nach Beginn des ersten Weltkrieges bei einem Seegefecht vor Helgoland von britischen Verbänden versenkt worden. Mit der „Mainz“ versanken 90 Seeleute in den Tiefen der Nordsee.
Die holländischen Taucher hatten eine für sie interessante Artefakte mit aus der Tiefe gebracht und damit in Facebook posiert. Das war nun nicht so schlau, denn nun kochte die Seele des Tauchervolkes hoch. Von Wrackräuberei war die Rede. Und dann folgte die Anzeige wegen Störung der Totenruhe. Das kann man machen, zumal es juristisch vermutlich schwierig und, viel zu aufwändig sein wird, die Taucher wegen einer einhundert Jahre alten Zieleinrichtung zu belangen.
Interessant war hingegen die Reaktion der Taucher, die, laut verschiedener Pressemeldungen, keinerlei Schuldbewußtsein zeigten und sich mit dem Argument verteidigten: „Das verrottet doch auf dem Meeresboden sowieso nur.“ Das machte die ganze Angelegenheit jetzt auch nicht viel besser.
Die Anzeige gegen die holländischen Sporttaucher ist richtig und falsch zu gleich. Natürlich ist es weitgehender Konsens unter Sporttauchern, dass Wracks nicht geplündert werden sollen. Das ist nicht unbedingt eine Frage der Pietät, sondern der Fairness anderen Tauchern gegenüber. Das was geplündert wurde, wird ja auch den nachfolgenden Tauchern entzogen. Trotzdem bleibt so ein komisches Gefühl. Der Vorwurf der Störung der Totenruhe scheint ja lediglich ein Vorwand zu sein, um der Wrackplünderer habhaft zu werden – natürlich mit sehr ungewissem Ausgang.
Andererseits scheint es mir eine sehr gute Gelegenheit, Taucher auch mal wieder daran zu erinnern, wo sie tauchen, wenn sie Wracks besuchen. Grundsätzlich ist ja gegen das Wracktauchen soviel einzuwenden, wie gegen den Besuch von Friedhöfen – aber das sind viele Wracks eben auch. Nicht immer werden Taucher so brutal daran erinnert, wie bei der Salem Express, auf der viele hundert Menschen starben – wieviele es tatsächlich waren, ist bis zum heutigen Tage nicht geklärt. Die Thistlegorm, vermutlich das beliebteste Wrack im Roten Meer, riss neun Menschen in den Tod. Den wenigsten Tauchern wird diese Tatsache bewußt sein, wenn sie zu dem 120 Meter langen Wrack hinabsteigen.
Doch selbst wenn ein Schiffuntergang keine Opfer gefordert hat, so symbolisiert das Wrack auch so etwas wie die Endlichkeit des Lebens und hat einen gewissen Respekt verdient. In Polen ist das Wrack der „Gustloff“ seit Jahren gesperrt, trotzdem gibt es einen regen Tauchtourismus dorthin und das Wrack wird zudem hemmungslos ausgeplündert, weil angeblich selbst Aschenbecher des ehemaligen KdF-Kreuzers zu fünfstelligen Summen im Internet vertickt werden können. Wo solche Gier um sich greift, hat die Moral wohl auch keinen Platz mehr, auch wenn das Wrack das Grab von vermutlich 9000 Menschen ist.
Man muss nicht überall auf der Welt getaucht haben und kann auch mal sagen: „Hier muss es jetzt nicht sein.“ Auf jeden Fall aber sollte man sich stets bewußt sein, wo man taucht und den Ort dann auch mit dem ihm gebührenden Respekt begegnen.
Peter S. Kaspar
Foto: M. Kirschner