Die ungleichen Schwestern
Was die Thistlegorm mit der Roselie Moller verbindet
Seit 1991 ist die Thistelgorm auf der östlichen Seite der Straße von Gubal für Wracktaucher am Roten Meer die unbestrittene Nummer eins. Das dürfte wohl zwei Gründe haben. Einerseits war ihre „Wiederentdeckung“ von einem beträchtlichen medialen Aufwand begleitet. Das ZDF und die Illustrierte „Stern“ hatten die Jagd nach dem verlorenen Wrack aufwändig begleitet, bis hin zur dramatischen und schinbar unmittelbar vor dem Scheitern stehenden Suchaktion in der Straße von Gubal.
Andererseits gehört die Ladung zum Spektakulärsten, was der gemeine Sporttaucher in seinem Unterwasserleben sehen kann. Die Thistlegorm ist bekannt für ihre einst fabrikneuen Nortonmotorräder, die Lastwagen, Güterwagons, Lokomotiven und Kleinpanzer. Das Wrack selbst ist allerdings im hinteren Teil einigermaßen zerfetzt.
Und so gibt es in der Taucherwelt eine nicht unerhebliche Gruppe, in deren Augen ein ganz anderes Schiff das viel schönere Wrack abgiebt. Es handelt sich um die Rosalie Moller, ein Frachter, der auf der westlichen Seite der Straße von Gubal liegt, gerade mal etwa 20 Kilometer entfernt von der Thistlegorm. Die Rosaslie steht senkrecht auf dem Grund. Von ihrem grauenhaften Ende zeigt nur ein Einschlag auf der Steuerbordseite. Ansonsten wirkt sie unversehrt. Von der Ladung ist nur noch Staub übrig – Kohlestaub. Deshalb ist es keine besonders gute Idee da hinein zu tauchen. Mit 108 Meter ist die Rosalie 18 Meter kürzer als die Thistlegorm.
Beide Schiffe waren aus dem gleichen Grund auf der gleichen Route unterwegs. In Nordafrika tobte 1941 der Kampf zwischen dem deutschen Afrika-Korps und der achten britischen Armee. Diese sollte mit Nachschub versorgt werden. Während die gerade ein Jahr zuvor vom Stapel gelaufene Thistlegorm Ausrüstung transportiere, wurde die über 40 Jahre alte Rosalie mit Kohle beladen. Von England aus nahmen beide Schiffe den Weg ums Kap der guten Hoffnung, da eine Route durchs Mittelmeer wegen der deutschen U-Boote viel zu gefährlich war. In der Straße von Gubal war für beide Endstation, weil die Einfahrt zum Suezkanal von einem Wrack versperrt war. Während der Thistlegorm der „Sichere Ankerplatz F“ zugewiesen wurde, machte die Rosalie am „Sicheren Ankerplatz H“ fest.
In der Nacht zum 6. Oktober griffen zwei deutsche He 111 Bomber die Thislegorm an und trafen sie im hinteren Drittel, genau dort, wo die meiste Munition lagerte. Und das wurde ironischerweise auch der Rosalie zum Verhängnis. Die Explosion und das Feuer verbreiteten so ein helles Licht, dass die abdrehenden deutschen Piloten auf der westlichen Seite einen zweiten lohnenden Frachter entdeckten. Allerdings waren die Bombenschächte leer. Doch der deutschen Luftwaffe war nun klar, dass es hier noch ein Ziel gab. Zwei Tage später flogen wieder zwei He-111-Bomber im Tiefflug heran und versenkten auch die Rosalie Moller.
Welches nun für Sportaucher das schönere ist, darüber läßt sich sicher lange streiten. Aber eines scheint heute klar. Das Schicksal der einen hat das Schicksal der anderen besiegelt.
Text: Peter S. Kaspar Foto: Manuela Kirschner