Da drunten aber ist’s fürchterlich

Was Friedrich von Schillers Ballade vom „Taucher“ mit der Wirklichkeit zu tun hat

Am Mythos Tauchen habe viele mitgestrickt. Natürlich fallen einem da sofort Namen der üblichen Verdächtigen wie Jacques-Yves Cousteau oder Hans Hass ein. Doch ein wenig hat sicherlich auch jemand dazu beigetragen, der mit Wasser im allgemeinen und Tauchen im besonderen so gar nicht in Verbindung gebracht wird. Friedrich von Schiller schrieb 1797 „Der Taucher“, eine seiner bekanntesten Balladen.

Der „Taucher“ war ein Sizilianer

Natürlich ist „Der Taucher“ als Sinnbild für die menschliche Hybris zu sehen. Friedrich Schiller hatte nie das Meer gesehen und dass zu seiner Zeit erste technische Grundlagen für das Sport- und Berufstauchen gelegt wurden, dürfte wohl gänzlich an ihm vorbei gegangen sein. Trotzdem ist die Frage gar nicht so uninteressant, wie viel Tauchen jetzt denn im „Taucher“ steckt.
Vor allem steckt eine sizilianische Volkslegende von Colapesce oder „Nicola dem Fisch“ dahinter. Diesen Sohn eines Fischers aus Messina dürfte es wohl tatsächlich gegeben haben und er war wohl in der Tat ein ziemlich begabter Taucher. Die Sage berichtet, dass er immer wieder die wunderbarsten Dinge von seinen Tauchgängen berichtet habe. Ein Mal habe er gar einen Schatz geborgen. Dies sei dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, dem Staufer Friedrich II. zu Ohren gekommen. Was an dieser Stelle wie eine Legende klingt, ist indes gar nicht so unwahrscheinlich, ebenso wenig wie das, was nun folgt. Der deutsche Kaiser Friedrich war nämlich selbst in Sizilien aufgewachsen – und er residierte auch auf der Mittelmeerinsel. Es heißt, dass sich Friedrich von den außergewöhnlichen Fähigkeiten Nicolas selbst überzeugen wollte. Auch das ist durchaus wahrscheinlich. Der Staufer trug den Beinamen „Stupor mundi“, zu deutsch: „Das Staunen der Erde“. Damit wurde die unersättliche Wissensgier des Kaisers umschrieben, der, um sie zu stillen, auch nicht vor manch makaberen Experimenten zurückgeschreckt sein soll. Was indes nachweislich wahr ist: Sein Buch über die Falknerei ist heute noch, nach 800 Jahren, ein Standardwerk, das allen wissenschaftlichen Maßstäben standhält.
Frederick_II_and_eagleDass sich Friedrich den tauchenden Wunderknaben gerne ansehen wollte, ist durchaus glaubhaft und wahrscheinlich. Die Sage erzählt nun, dass Friedreich erst eine goldene Tasse in die Fluten warf, die Nicola wieder hervorholte, dann soll der Kaiser seine Krone ins Wasser geworfen haben. Auch sie wurde von Nicola geborgen. Schließlich schleuderte der Herrscher seinen Ring in noch tieferes Wasser. Wieder tauchte Nicola ab und kehrte nicht mehr zurück. Der Sage nach, soll Nicola bei diesem tiefsten Tauchgang gesehen haben, dass Sizilien auf drei eisernen Säulen ruhte, von denen eine so durchgerostet war, dass sie zusammen zu brechen drohte. Kurzerhand stütze Nicola die Säule und tue das heute noch. Wenn die Erde bebe, dann wechsele er gerade die Schulter.
Doch zurück zu Friedrich Schiller. Am beschaulichen, friedlichen Neckar, in Marbach, geboren, waren ihm große Wassermassen unheimlich. Selbst in „Wilhelm Tell“ beschwört ihm auf dem Vierwaldstädter See Unheil herauf: „Es tobt der See und will sein Opfer haben.“ Die Begegnung Nicolas, der in der Ballade namenlos bleibt, mit dem Kaiser, der bei Schiller nur ein König ist, wird kurzerhand zur Charybdis verlegt. Bei Charybdis klingelt die humanistische Grundbildung. Da war doch was? Richtig! Zu Vervollständigung braucht die eigentlich noch eine Skylla. Bei Homer waren das zwei Seeungeheuer, die sich vornehmlich von vorbeifahrenden Schiffen ernährten. Tatsächlich verbergen sich hinter Skylla und Charybdis ein Felsen und ein Mahlstrom in der Straße von Messina. Von Skylla berichtet der Dichter des „Tauchers“ nichts, dafür aber um so mehr von der Charybdis, einem unheimlichen, alles verschlingenden Wasserwirbel.
„Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,
Zu tauchen in diesen Schlund?“
fragt der König zu Beginn und kündigt an, einen goldenen Becher hinein zu werfen, den derjenige behalten mag, der ihn wieder an die Wasseroberfläche zurück bringt. Die Ritter rings um ihn her denken wohl: „Bin ich bescheuert? Mit mir doch nicht.“ Schiller sagt das natürlich nicht. Er lässt vielmehr einen „Edelknecht“ hervortreten, der sich kurzerhand die Kleider vom Leib reißt und dem goldenen Becher einfach mal hinterher springt – natürlich unter großem Weh und Ach und Gejammer der Umstehenden.

Woher kannte Schiller Hammerhaie?

Die Zeit verrinnt und es gibt genügend Gelegenheit, sich vorzustellen, was so alles passieren kann. Schließlich schießt der junge Mann aus dem Wasser, mit dem Becher in der Hand. Alle sind froh, alle sind glücklich, erst mal gibt es lecker Essen und Trinken, derweil der Jüngling von seinem Tauchgang berichten soll. Das Apres-Diving oder Deko-Bier unterscheidet sich dann nicht so sehr von dem, was Taucher heute gewohnt sind. Es wird eben auch kräftig angegeben. Spätestens als der Taucher von Salamandern, Molchen und Drachen spricht, ist jedem klar, dass Friedrich Schiller keine Ahnung hat, von was er schreibt.
Doch dann folgt unmittelbar die Strophe:

Der stachlichte Roche, der Klippenfisch,
Des Hammers gräuliche Ungestalt,
Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
Der entsetzliche Hay, des Meeres Hyäne.

1280px-Sphyrna_mokarran_at_georgia2Woher weiß jemand über Hammerhaie, Stachelrochen und Hai Bescheid, der vermutet, dass auch Salamander, Molche und Drachen zu den Meeresbewohnern gehören? Wie so häufig in der deutschen Literatur ist der Schuldige schnell ausgemacht: Johann Wolfgang von Goethe. Er hatte seinem Freund Schiller eigens für diese Ballade ein Fischbestimmungsbuch ausgeliehen – was es damals offenbar schon gab. So richtig hat sich Schiller daran allerdings nicht gehalten. Denn mindestens der „Klippenfisch“ dürfte kaum Goethes Fischbestimmungsbuch entsprungen sein. Den Name hatte Schiller wohl mehr oder minder aufgeschnappt und aus Klippfisch Klippenfisch gemacht. Aber der schwäbischen Landratte scheint nicht klar gewesen zu sein, dass es sich bei Klippfisch nicht um eine eigene Fischart- oder Gattung, sondern um eine Zubereitungsform handelt. Klippfisch oder Stockfisch ist nichts anderes, als ein gesalzener und an der Luft getrockneter Fisch.
Den König ficht das alles nichts an. Er ist völlig fasziniert von den Erzählungen und will nun noch mehr. Er versucht den jungen Mann zu einem weiteren Tauchgang zu überreden. Das Töchterlein des Königs versucht Papa die irrsinnige Idee auszureden. Der schnappt sich statt dessen den ja bereits verschenkten Becher und wirft ihn erneut in die Flut. Dem Jungen verspricht er auch noch gleich den Ritterstand und die Hand der Tochter. Na denn, denkt sich der Junge, was einmal geht, geht auch zwei Mal und springt wieder ins Wasser. Doch, ach, am Ende wird’s nichts mit der Prinzessin und nichts mit den Ritterschlag.
„Es kommen, es kommen die Wasser all,
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den Jüngling bringt keines wieder.“
Was bleibt, ist die Einschätzung des Jünglings „Da unten aber ist’s fürchterlich“, die allerdings kein aufrechter Sporttaucher heute mehr teilen mag.

200px-Taucheranzug_Karl_Heinrich_KlingertNachtrag: Im gleichen Jahr, in dem Friedrich von Schiller den „Taucher“ veröffentlichte, präsentierte Karl Heinrich Klingert den ersten Helmtauchapparat. Dem staunenden Publikum bewies er die Funktion seines Gerätes mit einem spektakulären Versuch. Er zersägte in einer Wassertiefe von sechs Metern in der Oder einen Baumstamm.

 

 

Text: Peter S. Kaspar                      Bilder: Manuela Kirschner/Gary J. Wood