Wer hat die Haie geschrumpft?
Viele Meerestiere sind viel kleiner
Jeder Taucher lernt das schon im Grundkurs: Unter Wasser sieht alles größer aus, als es in Wirklichkeit ist. Es nutzt meist relativ wenig. Kaum zurück an Land, wächst der juvenile Weißspitzenhai auf die Größe eines ausgewachsenen Weißen Haies an. Die auseinander gerissenen Arme bezeichnen dann nicht die Größe, sondern lediglich den Augenabstand des angeblichen Monsters. Anglerlatein ist eine fromme Untertreibung für das, was so mancher Taucher gesehen haben will.
Doch nun kommt es noch schlimmer. Konnte sich der Taucher noch auf Maximalangaben in Fischbestimmungsbüchern berufen, so wird auch das in Zukunft fragwürdig, denn nach einer internationalen Gemeinschaftsstudie sind Meeresgiganten gar nicht so gigantisch. Das „Lieblingsmonster“ aller Meeres-Begeisterten, der Weiße Hai, bringt es nach dieser Studie im Durchschnitt nicht einmal auf vier Meter, während doch die Fachwelt bislang immer von bis zu acht Metern ausging. Vereinzelte Exemplare in dieser Größe kann es allerdings doch geben, denn das ist derzeit die eine vernünftige Erklärung für das Verschwinden des sogenannten „Hai Alpha“, eines drei Meter langen Weibchens, das offensichtlich von etwas Größerem verschluckt wurde. Wenn es nicht der ausgestorbene Megadolon war, dann könne es sich nur um einen Weißen Hai handeln, der an „Gigantismus“ leide, meint ein Forscher.
Auch Walhaie und Kalmare sind geschrumpft
Walhaie, die bislang auf über 20 Meter Maximalgröße beziffert wurden, schrumpften ebenfalls. Nur noch 18,8 Meter gelten nun als gültige Größe. Die gefürchteten Riesenkalmare kommen demnach auch nicht auf 20, sondern nur auf 12 Meter. Lediglich das größte Tier der Erde, der Blauwal, bleibt mit 33 Metern unangetastet.
„Fische hören nie auf zu wachsen“
Für Meeresbiologe und Silent-World-Chefredakteur Matthias Bergbauer war diese Revision schon lange überfällig. „Viele Angaben sind sehr alt und stammen aus wenig seriösen Quellen“, erklärt er. In seinem Fischbestimmungsbuch: Gefährliche Meerestiere
wurde der Weiße Hai schon vor geraumer Zeit mit einer Maximalgröße von 6,40 Metern angegeben. Allerdings wird dort auch der Große Barrakuda mit maximal 1,80 Meter verzeichnet. Vor über 20 Jahren hatten zwei Taucher im ägyptischen Sharm el Naga einen Barrakuda nicht nur gesehen, sondern auch vermessen und kamen auf 2,50 Meter. Das Tier war offensichtlich am Verenden.
Für Bergbauer ist das kein Widerspruch. „Im Gegensatz zu Menschen wachsen Fisch bis an ihr Lebensende. Das Wachstum verlangsamt sich zwar, aber Fische hören nicht auf zu wachsen.“ Wer also einen sehr großen Fisch entdeckt, weiß, dass das Tier sehr alt sein muss.“ Nun gibt es durchaus Menschen, die 114 Jahre alt werden. Der durchschnittlichen Lebenserwartung entspricht das aber nicht. Andererseits ergibt sich die durchschnittliche Größe eines Fisches dann aus dem Durchschnittsalter der gesamten Fischpopulation.
Heißt das, dass mit der zunehmenden Überfischung der Meere die Tiere zwangsläufig kleiner werden? „So pauschal kann man das nicht sagen“, meint Bergbauer. Aber er hat ein interessantes Beispiel parat: „Es ist verbürgt, dass man noch vor 100 Jahren einen Stör mit sieben Meter Länge gefangen hat. Störe werden eigentlich über 100 Jahre alt. Aber heute haben sie gar keine Chance mehr, so alt und damit so groß zu werden, weil sie alle aus den Seen und Flüssen herausgefischt werden.“
Haie werden weltweit gezählt
Zumindest, was die Haie betrifft, wird es in Zukunft vielleicht genaueren Aufschluss geben. Mit finanzieller Unterstützung des Microsoft-Mitbegründers Paul Allan sollen die weltweiten Bestände der verschiedenen Haiarten gezählt werden. Dazu werden an 400 Orten der Erde mit Ködern bestückte Kameras installiert. Eine wichtige Rolle spielen dabei unter anderem auch Tauchreiseziele wie das Rote Meer oder die Malediven, denn für die spielen Haie eine wichtige Rolle. Vor der ägyptischen Küste helfen sie als natürliche Feinde von Schildkröten und Dugongs die wichtigen Seegraswiesen zu erhalten. Auf den Malediven gelten Haie, beziehungsweise Haibegegnungen als bedeutende Wirtschaftsfaktoren. Bis 2018 will das Projekt „Fin-Print“ Aufschluss darüber geben, wo die Haibestände wie stark gefährdet sind. Und dann wird man vielleicht auch genaueres darüber sagen können, wie groß den Haie nun tatsächlich werden.
Ob das am Ende etwas an den Übertreibungen der Taucher ändert? Zumindest auf T-Shirts gibt’s ja eine durchaus sinnreiche Antwort auf die Frage, wozu ein Taucher eigentlich seine Arme braucht…
Text: Peter S. Kaspar
Foto. Manuela Kirschner