Wem der Wahnsinn weiter hilft

Standpunkt: Tauchrekorde sind verrückt – aber manchmal notwendig

Eigentlich ist ja Sporttauchen das Gegenteil von Sport. Keiner versucht möglichst schnell von Punkt A nach Punkt B zu kommen. Und den Kraftaufwand versucht ja jeder auch so klein wie möglich zu halten. Die Entschleunigung und das Auf-sich-selbst-zurückgeworfen-sein machen einen großen Teil der Faszination Tauchen aus. Wann immer sich der Wettkampfgedanke einschleicht (wer braucht weniger Luft, wer braucht weniger Blei, wer taucht tiefer) geht die Sache ja oft schief.

Insofern sind Rekorde dem Tauchen eigentlich wesensfremd. Dass sie trotzdem faszinieren, weiß jeder, der „Im Rausch der Tiefe“ gesehen hat, jenen großartigen Film von Luc Besson, der den Kampf der beiden großen Apnoe-Rivalen Jacques Mayol und Enzo Maiorca thematisiert. Die Geschichte lebt natürlich vom Wettkampf, aber auch von der Rekordjagd, die diesen Wettkampf ausmacht.

Nun ist der Ägypter Ahmed Gamal Gabr in Dahab auf 332 Meter getaucht und hat damit  dem Südafrikaner Nuno Gomes den Tiefenweltrekord im Gerätettauchen abgenommen.  In den Sozialen Medien wird das Ereignis gespalten aufgenommen. Die einen beglückwünschen ihn, die anderen halten den ägyptischen Kampfschwimmer für einen kompletten Vollposten. Was war es nun? Eine Wahnsinnstat oder eine große sportliche Leistung?

Tieftauchen

Zunächst liegt es einmal in der Natur des Menschen, dass er die Grenzen immer weiter hinaus schieben möchte und er bewundert diejenigen, die es tun dafür kolossal. Dass manche, die Grenzen überschreiten dabei ihr Leben verlieren, liegt in der Natur der Sache, denn genau um diese Grenze geht es im Endeffekt: was kann der Mensch noch leisten? Als Sir Edmund Hillary 1953 den Mt. Everest bezwang, war die Welt fasziniert. Sie war auch fasziniert, als das Reinhold Messner erstmals ohne Sauerstoffgerät gelang, doch die Zahl der Kritiker war schon bedeutend größer. Heute ist der Everest zum Tummelplatz reicher Abenteuertouristen geworden, die erwarten, dass sie für 40.000 Euro bis auf den Gipfel geschleppt werden. Die letzten 200 Meter zu Gipfel führen dann durch eine Allee von erfrorenen Bergsteigern. Sicher ein ganz besonders prickelndes Erlebnis. Auch, wenn es der Naturbursch‘ Messner nicht wahrhaben will, diese Entwicklung geht auch mit auf seine Kappe. Trotzdem sind die Einnahmen aus dem Everest-Tourismus ein wichtiger Posten im Staatshaushalt von Tibet. Auch wenn die Regierung in inzwischen durchaus kritisch sieht.

Aber was hat das alles mit Gamal Gabr zu tun? Auch er hat Grenzen verschoben, auch sein Rekord könnte in späteren Jahren merkswürdige Nachfolger finden und auch sein Rekord hat natürlich eine touristische Komponente. Gabr ist Ägypter und bei der Armee. Da liegt die Vermutung auch nahe, dass er über eine gesunde Portion Patriotismus verfügt. So darf man weiterhin auch annehmen, dass weder Zeitpunkt und Ort  des Rekordes ein Zufall sind. Wer Ägypten kennt, weiß, wie schlimm das Land in den letzten Jahren gelitten hat. Zwei Revolutionen  und die Regierung der Moslembrüder haben es an den Rand der ökonomischen Existenz getrieben. Der Tourismus, eine der tragenden Säulen der ägyptische Wirtschaft, brach fast vollständig zusammen. So langsam kommen die Gäste ins Land zurück. Nur an einer Region ist die allmähliche Erholung weitgehend vorbeigegangen, am Sinai. Der Norden der Halbinsel ist der heißeste Boden in Ägypten und der Gaza-Streifen gleich nebenan. In Sharm al Sheik, Dahab oder Nuweiba verzweifeln sie schier, weil kaum mehr Gäste kommen.

Viele Weltrekordler auf dieser Welt verbinden oder widmen ihren Rekord ihrem Land. Wenn Ahmed Gamal Gabr das tut, dann hat das einen sehr, sehr bitteren realen Hintergrund. Er hat sein Leben auch dafür auf Spiel gesetzt, dass es seinem Land wieder besser geht. Mit seinem Weltrekord ist Dahab verbunden und das ist ein Werbung, die im Moment gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Natürlich war das Wahnsinn und er hat sein Leben bei diesem Rekord riskiert. Aber ganz ehrlich: Mir ist es allemal lieber, ein Soldat setzt sein Leben für sein Land bei einem Tauchrekord aufs Spiel, als in einem Schützengraben.

Peter S. Kaspar