Was kommt nach den Haien?
Lösen Kopffüßer die Spitzenprädatoren ab?
Die einen mögen sie als frittierte Ringe auf den Teller, die anderen, weil sie knapp unter der Wasseroberfläche einen farbenfrohen, fast magischen Tanz vollführen. Kalmare haben nichts an sich, was der Mensch als Urbedrohung empfinden könnte. Doch das könnte sich in den nächsten Jahren dramatisch ändern. Schuld daran ist der Mensch selbst. Jedes Jahr werden mehr als 100 Millionen Haie gefangen. Die Ausrottung mancher Haiarten ist nur noch eine Frage der Zeit. Das Problem ist nun: Was kommt hinterher? Bestimmte Haiarten gehörten zu den sogenannten Spitzenprädatoren. Ihren Platz an der Spitze der Nahrungspyramide wird dann eine andere Spezies einnehmen. Und vieles deutet darauf hin, dass es Kopffüßer sein könnten, die diese Rolle übernehmen werden. Allerdings eine ganz andere Sorte, als die kleinen schillernden Gestalten, die Taucher und Schnorchler erfreuen.
Peter Benchley, dessen Roman und späterer Filmerfolg „Der Weiße Hai“ aus heutiger Sicht wie das Hornsignal auf eine weltweite Haijagd wirkt, hatte später mit einem anderen Roman noch ein mal an seinen Welterfolg anknüpfen „Beast – Schrecken aus der Tiefe“ wurde weder als Buch, noch als Film auch nur annähernd so erfolgreich. Die Geschichte unterscheidet sich jetzt nicht so fundamental vom weißen Hai, außer, dass es sich beim Hauptprotagonisten nicht um einen Raufisch, sondern einen 15 Meter langen sehr gefräßigen Riesenkalmar handelt. Das wirklich Zynische an dieser Geschichte ist, dass Benchleys Szenariao – dank seines großen Erfolges – tatsächlich Wirklichkeit werden könnte.
Humboldt-Kalmare auf dem Vormarsch
Allerdings sind es weniger Riesenkalmare, sondern bedeutend kleinere Kopffüßer, um die man sich ernsthaft Gedanken machen muss. Seit mehreren Jahren steigt die Zahl der Humboldt-Kalmare an der amerikanischen Westküste deutlich an. Darüber hatte der Spiegel bereits 2007 berichtet. Allerdings ging das Nachrichtenmagazin damals noch davon aus, dass die bis zu zwei Meter großen Tintenfische keine Gefahr für Menschen darstellen würden. Zumindest darüber gibt es inzwischen geteilte Ansichten. In der Tat beweisen Videos, dass Humboldt-Kalmare ausgesprochen aggresiv reagieren – und zwar auf so ziemlich alles, das sich bewegt. Und, obwohl sie zum Kanibalismus neigen, jagen die großen Kalmare in Rudeln. Ihr Schnabel ist aus einem der härtesten Materialien, die es überhaupt gibt. Dazu kommt, dass auch in den Saugnäpfen eine Art Zähne sitzen. Die Intelligenz von Humboldtkalmaren reicht an die vieler Säugetiere heran und ihre Reproduktionsrate ist bei 32 Millionen Eiern, die die Weibchen ablegt, sehr, sehr hoch. Da ist es auch kein rechter Trost, dass die Tiere nur zwei Jahre alt werden.
Die natürlichen Feinde von Kalmaren sind Haie, Schwertfische und Zahnwale. Alle drei Arten sind extrem gefährdet. Das heißt, die natürlichen Feinde der Humboldtkalmare verschwinden so langsam, was wiederum bedeutet, dass sich die Kopffüßer nun enorm vermehren können. Und ausgerechnet bei dem angriffslustigen Tintenfisch ist der Mensch nun auch keine richtig große Hilfe. Im Jahr werden etwa vier Mal mehr Tonnen Hai gefangen als Humboldtkalmar, der eine deutlich höhere Reproduktionsrate besitzt.
Todesfälle vor der mexikanischen Küste
Vor allem in Mexiko, wo der Humboldt-Kalmar, Diablo Rojo, Roter Teufel, genannt wird, wächst das Problem. Viele Fischer sind bereits in Rudel jagenden Klamaren zum Opfer gefallen. Es kursieren darüber Videos im Netz. Wieviele Fischer durch die Tintenfische zu Tode kamen, ist unklar – zu mal in einem Land, das nicht einmal den Verbleib von 40 Studenten klären kann. Tote Fischer an der Pazifikküste interessieren in Mexiko derzeit nicht wirklich.
Dass die Humboldtkalmare zum Problem werden, liegt auch daran, dass sie zwar bis auf 1200 Meter Tiefe tauchen können, aber im Vergleich zu anderen Großkalmaren auch immer wieder in flachere Gewässer kommen. Wenn die Meere weiter leergefischt werden, ist es auch denkbar, dass Riesenkalmare und Kolosskalmare häufiger in Küstennähe auftauchen. Ob die ähnlich aggresiv sind, wie Humboldt-Kalmare ist nicht geklärt, weil man über deren Verhalten noch sehr wenig weiß.
Die Konsequenzen aus dem Rückgang der Hai sind inzwischen also spürbar. Wenn Haie nicht auf Dauer von deutlich unangenehmeren Zeitgenossen ersetzt werden sollen, wäre es sehr sinnvoll, mit der Haischlächterei so langsam aufzuhören.
Text: Peter S. Kaspar Bild: psk