Opfer der Flugscham

Standpunkt

Wo der Verzicht auf’s Fliegen Probleme bringt

Ein neuer Begriff macht Karriere: Flugscham. Wenn es um die Rettung des Planeten geht, dann gerät das Flugzeug als Transportmittel immer mehr ins Visier. Das ist so verwunderlich nicht. Wenn ein Kilo Kerosin verbrennt, entstehen etwa drei Kilo CO2. Bei einem Mittelstreckenflieger kommen da schon einige Tonnen zusammen.  Taucher geraten hier in einen ganz besonderen Zwiespalt. Gerade bei ihnen ist das Umweltbewußtsein besonders ausgeprägt. Gerne werden Beach-Cleanings in Bali unterstützt oder Korallenanbauprojekte auf den Malediven gefördert.  Doch was bringt das alles, wenn Hin- und Rückflug die ganze schöne Klimabilanz wieder kaputt machen?

Die soziale Komponente

Wie absurd die Situation ist, zeigt sich besonders auf den Malediven. Der Inselstaat im Indischen Ozean wird aller Voraussicht nach einer der ersten sein, der im Meer versinkt. Vermutlich könnte noch nicht einmal mehr ein sofortiger kompletter Stopp aller Treibhausgase das verhindern. Andererseits leben die Malediven praktisch zu 100 Prozent vom Tourismus. Und fast 100 Prozent aller Touristen kommen mit dem Flugzeug an. Und die ein oder zwei Prozent, die mit einem Kreuzfahrschiff reisen, benutzen eine weit größere Dreckschleuder als ein Düsenjet. Es schiene also ganz im Interesse der Malediven zu sein, den Archipel komplett für Touristen und überhaupt alle Neuankömmlinge zu sperren. Der Erfolg wäre vermutlich, dass ein größerer Teil der 300.000 Malediver sehr zügig vom Hungertod oder zumindest von großem Elend bedroht wären. Das will aber auch niemand.

Tourismus schafft Abhängigkeiten

Was passiert, wenn der Tourismus zusammenbricht, konnte man in den vergangenen Jahren in Ägypten, Tunesien und der Türkei beobachten – und diesen Ländern hingen noch nicht einmal komplett am Touristen-Tropf. Natürlich lässt sich heute fragen. Warum macht sich ein Land so abhängig vom Tourismus. Genau so kann man fragen: Wer ist schuld? Der Dealer oder der Süchtige? Die Anhängikeiten sind nun mal da. Das Ende des Tourismus etwa auf den Malediven, hieße, das Land auf trockenen Entzug zu setzen.

Keine Chance auf Konversion

Es hat ja auch anderswo auf dieser Welt schon große Umwälzungen und veränderte Abhängigkeiten gegeben. Deutschland beispielsweise mußte im Ruhrgebiet das Ende des Kohleabbaus bewältigen. In anderen Landstrichen gingen Zehntausende von Arbeitsplätzen verloren, durch den Abzug alliierter Truppen oder der Verkleinerung der Bundeswehr. Durch großzügige Programme gelang aber meist die sogenannte „Konversion“. Doch wer würde auf den Malediven ein Konversionsprogramm finanzieren, wenn niemand mehr hinfliegen würde? Ein anderes Beispiel: Die meisten Tauchbasen in Ägypten befinden sich in europäischer Hand. Sie beschäftigen im Schnitt 15 bis 20 Ägypter. Wenn eine Basis mangels Gästen dicht machen muss, fällt es dem Europär vergleichsweise leicht, wieder in die Heimat zurück zu kehren. Die Zurückgebliebenen wissen dann nicht, wie sie sich und ihre Angehörigen ernähren sollen und das sind pro Kopf zwischen fünf und zehn Personen.

Wie schlimm ist das Fliegen tatsächlich?

Keine Frage: Fliegen verpestet die Umwelt. Doch das Fliegen zum Symbol der Umweltverschmutzung hochzustylisieren greift eben auch nicht. Jüngst wurden die größten Dreckschleudern Europas ermittelt. Auf den Plätzen eins bis neun landeten Braunkohlekraftwerke – davon alleine sieben in Deutschland. Erst auf Rang zehn folgte mit Ryanair die erste Fluggesellschaft. Und Ryanair hat einerseits die größte Flotte Europas – und mit der fliegt sie auch noch in sehr kurzen Intervallen hauptsächlich Kurzstrecke, was die Umwelt ganz besonders belastet.

Was also tun?

Wer nur der Umwelt zuliebe auf einen nächsten Ägypten- oder Malediven-Urlaub verzichten will, sollte darüber nachdenken, ob er nicht versucht, ein Loch zu stopfen, in dem er ein anderes aufreißt. Es gibt ja auch noch eine ganze Menge weiterer Möglichkeiten CO2-freundlicher zu leben. Es muss beispielsweise nicht jeden Tag Fleisch sein. Radfahren ist manchmal schöner und entspannender, als mit dem Auto unterwegs zu sein und auf der Kurzstrecke ist die Bahn dem Flieger sowieso vorzuziehen. Wer trotzdem mit einem schlechten Gewissen oder mit der berühmt-berüchtigten Flugscham in den Flieger steigt, der kann tatsächlich am vieldiskutierten Emmissionshandel teilnehmen. Da helfen inzwischen zahlreiche Internetseiten und Plattformen. Eine davon ist atmosfair. Dort kann man aussrechen lassen, wie groß die persönliche CO2-Emmission ist und was eine Kompensation kostet. Im Beispielfall würde ein Flug von Berlin-Schönefeld nach Hurghada mit einem Airbus A321 in der Economy-Klasse hin und zurück 963 Kilogramm CO2 pro Person erzeugen, was diese nämliche Person mit 23 Euro ausgleichen könnte, wenn sie diese in eines der dort angebotenen Umweltprojekte investiert.

Der erweiterte Horizont

Und schließlich gibt es noch ein ganz wesentliches Argument, nicht einfach so aufs Fliegen zu verzichten. Reisen hat unseren Horizont erweitert. Tatsächlich sind unter den Leugnern des Klimawandels ausgerechnt viele, denen eine gewisse Horizonterweiterung fehlt. Es wäre, gerade in diesen Zeiten, fatal, auf eine Erweiterung des Horizontes zu verichten. Denn wie sagte Alexander von Humboldt so richtig: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die der Leute, die die Welt nie geschaut haben.“

Peter S. Kaspar

Bild: psk