Die Sache mit dem Nitrox
Vor über 20 Jahren wurde das Mischgas bei Sporttauchern hoffähig
Nitrox? Explodiert! Wer vor den 90ern seinen Tauchschein gemacht hatte, war von solchen und ähnlichen Thesen restlos überzeugt. Nitrox war doch auch dieses komische Gas, mit dem man ganz besonderns tief tauchen konnte, oder nicht? Die Palette des unter Tauchern verbreiteten Blödsinns über das Gasgemisch war vor einem Vierteljahrhundert schon erstaunlich groß. Dabei war Nitrox gar nicht mal etwas so fundamental Neues. Bereits vor 240 Jahren wurde es erstmals medizinisch eingesetzt. 100 Jahre später, in den ganz frühen Zeiten der Gerätetaucherei, wurde wie selbstverständlich mit Nitrox experiementiert.
Doch in die Sorttaucherszene fand Nitrox zunächst keinen Eingang. Dafür gab es verschiedene Gründe. Einerseits war es einfach teuer, sich die entsprechenden Gerätschaften anzuschaffen – sowohl für die Tauchbasis, als auch für den Taucher selbst. Teile der Ausrüstung mußten Nitrox-tauglich sein, weil der erhöhte Sauerstoffanteil manches korrosionsanfälliger machte.
Ein weiterer Punkt war, dass Nitrox in die Welt der Berufstaucher gehörte. Die galt dem normalen Sporttaucher verschlossen und per se als lebensgefährlich. Von Tech-Diving war noch nicht die Rede. Wer mit hochtechnisiertem Equipment täglich sein Leben aufs Spiel setzte, machte das ja wohl nicht zum Vergnügen, sondern nur, wenn er dafür viel, viel Geld verdienen würde. Und deshalb war alles, was aus dieser Ecke kam, grundsätzlich gefährlich. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum Nitrox zu Beginn dem Tech-Diving zugerechnet wurde.
Dass Nitrox auch unter einem erhöhten Sicherheitsaspekt beim Sporttauchen Verwendung finden könnte, galt den meisten Tauchern schlichtweg als absurd. Und so entstand die bizarre Situation, dass Taucher, die jeden Tag noch einen Meter mehr an Tiefe herauskitzelten, sich häufig jeneseits aller vernünftigen Grenzen bewegten und grundsätzlich bei jedem Tauchgang auf der Nullzeitkurve an die Oberfläche zurück krochen, erregte Diskussionen über die Gefährlichkeit von Nitrox führten.
Doch genau der Sicherheitsaspekt war es schließlich, der dem Nitrox beim Sporttauchen zum Durchbruch verholfen hat. Paradox daran war allerdings: Genau diese These hat sich später auch nicht nachweisen lassen. Es gibt zwar keine empirischen Studien darüber, doch werden weltweit Statistiken geführt, aus denen sich Erstaunliches Ableiten läßt. Tatsächlich soll sich die Sicherheit nur um 0,001 Prozent erhöhen, wenn man mit Nitrox taucht. Doch wie das so ist bei den Statistiken, denen man bekanntlich nur trauen soll, wenn man selbst gefälscht hat, was sagen sie wirklich aus.
Aufschlussreicher ist da schon, wenn man mal bei Besitzern von Tauchbasen nachfragt – und von denen haben viele inzwischen ein sehr gespaltenes Verhältnis zu Nitrox. Zu Beginn der Nitrox-Zeit war das Mischgas ein zusätzliches Geschäft, das allerdings hohe Anfangsinvesitionen erfoderte. Wer heute auf einer Tauchbasis die Befüllung mit Nitrox anbieten will, ist mit rund 40.000 Euro dabei, die er erst mal reinstecken muss. Vor 20 Jahren bezahlten die ersten Nitrox-Taucher den Zuschlag für das Gas noch mit hoher Begeisterung. Inzwischen ist es in manchen Tauchdestinationen, wie etwa Ägypten, fast selbstverständlich geworden, dass es „nitrox for free“ gibt – Ergebnis eines harten Konkurrenzkampfes. Das alles für ein paar Minuten mehr Nullzeit und eines verringerten Risikos von 0,001 Prozent?
Trotzdem, viele Tauchlehrer wollen das Gas heute nicht mehr missen. Dabei geht es gar nicht mal um die unbestreitbare Vorteile der längeren Null- und kürzeren Dekozeiten. Es ist ein psychologischer Effekt, den natürlich keine Statistik erfasst und zum Aussterben einer berüchtigten Spezies führt: Dem Tiefenjäger. Es gab Zeiten, das war es ziemlich cool, damit zu protzen, dass man sich auf 70, 80 oder gar 100 Meter abgedrückt hatte – und hatte immer noch etliche Bewunderer auf seiner Seite. Nun ist ja Pressluft im Prinzip auch nichts anderes, als Nitrox 21. Dafür gilt bei einem Partialdruck von 1,4 bar eine Maximale Tauchtiefe (MOD) von 56,6 Metern. Es ist ja schlechterdings nicht vorstellbar, dass jemand der mit Nitrox taucht, nach dem Tauchgang damit angibt: „Ich hab‘ meine MOD um 20 Meter überschritten.“ So ein Satz wäre nun reichlich uncool. Mit Tiefenrekorden anzugeben, hat sich also mit dem Thema Nitrox weitgehend erledigt. Und das ist für das Sporttauchen ganz bestimmt ein großer Zugewinn an Sicherheit.
Peter S. Kaspar
Mehr zum Thema hier: www.dolacek.de/nitrox.htm und hier: de.wikipedia.org/wiki/Nitrox
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