Der Taucher trotzt dem Terror
Standpunkt: Wie umgehen mit der Angst vor Anschlägen?
„Seit den Anschlägen von Paris bekommen wir nicht mal mehr Anfragen, von Buchungen ganz zu schweigen, sagt eine Tauchbasisleiterin im ägyptischen Hurghada. Im Malediven-Forum wird heftig darüber diskutiert, ob man das Inselparadies überhaupt noch besuchen kann. In Tunesien ist der Tourismus auf den Nullpunkt angelangt. In der Türkei droht ein Bürgerkrieg, was den kriselnden Fremdenverkehr auch dort zum Erliegen bringen könnte.
Vier Destinationen – die gleichen Probleme
Es handelt sich um vier komplett unterschiedliche Urlaubsdestinationen, doch alle haben ähnlich gelagerte Probleme: eine hohe Abhängigkeit vom Tourismus , alle vier Länder sind vor der Furcht vor Islamismus betroffen, und drei Ländern gelten nicht gerade als reich und haben mit hohen Arbeitslosenzahlen zu kämpfen. Natürlich hat auch jedes Land noch seine spezifischen Probleme. So war es vermutlich von der maledivischen Regierung nicht gerade schlau, den ARD-Korrespondenten auszuweisen – zweieinhalb Monate vor Beginn der Internationalen Tourismusbörse in Berlin (ITB), auf der im März die Malediven das Partnerland sind. Nun müssen sich die Verantwortlichen erst recht auf peinliche Fragen, etwa, ob Geld aus den Touristeneinnahmen an den IS fließt, stellen.
Angst, die Falschen zu unterstützen
Wenn Zweifel aufkommen, ob in diesen Zeiten ausgerechnet ein mehrheitlich islamischen Land zum Urlaubsziel auserkoren wird, stehen bei vielen Menschen zwei Fragen in Vordergrund. Die einen, wohl die Mehrheit, fragen sich: „Ist das sicher, nun nach Ägypten, Tunesien, in die Türkei, Marokko, in den Oman, auf die Malediven oder nach Indonesien zu reisen.“ Die anderen fragen sich, ob es politisch korrekt ist, in ein Land zu reisen, in dem ein vermeintlicher Militärdiktator wie Abdel Fatah al Sisi (Ägypten) regiert oder ein Inselparadies zu besuchen, dass den IS alimentiert (Malediven).
Auch Spanien war einst umstritten
Beginnen wir mit der Political Correctness: Die Deutschen hatten Spanien schon als Lieblingsurlaubsziel entdeckt, als dort noch ein Generalissimus Franco regierte und politische Gegner mit der Garotte erdrosselt ließ. In Ägypten begann der Tourismus unter Mubarak zu blühen. Und ein indonesischer Präsident Suharto verhinderte nun auch nicht gerade, dass Touristen in Scharen nach Bali reisten. Und wer fürchtet, dass das Geld, dass er bei Maledivenurlaub in dem Archipel lässt, an islamistische Gotteskrieger fließt, der sollte fürderhin auch die Finger von den Automarken VW, Audi, Seat, Skoda, Porsche oder Bentley lassen. Qatar besitzt nämlich 17 Prozent der Aktien des Volkswagen-Konzerns und auch den Qataris wird nachgesagt, dass so mancher ihrer Dividenden-Euros in den Kassen des Islamischen Staates landet.
Fragwürdige Berichterstattung
Im übrigen ist selbst die Berichterstattung von öffentlich rechtlichen Sendern nicht immer besonders verlässlich. Vor kurzem berichtete Martin Durm in der ARD über verfolgte Oppositionelle in Ägypten. Unter anderem hieß es in dem Bericht: „Kurz nach dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi stürmten um sich schießende Polizeikohorten die Protestcamps der Muslimbrüder.“ Tatsächlich wurden die Camps erst sechs Wochen später nach langen und vergeblichen Verhandlungen und nicht von der Polizei, sondern vom Militär geräumt. Da stellt sich dann natürlich auch die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Restes der Geschichte – wenn schon das Nachprüfbare nicht stimmt. Es wird für den Normalsterblichen immer schwieriger, wahre und seriöse Nachrichten aus der mitunter schmutzigen News-Brühe heraus zu fischen.
Busfahrten sind potentiell gefährlicher
Und dann ist da noch die Angst. Vor was, fragt man sich unwillkürlich? Davor einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen? Gewiss, in Tunesien hat ein Attentäter im Sommer seine Opfer an einem Strand gefunden. Das Land ist jetzt leer. Aber wer meidet Frankreich? Die Gefahr, einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, ist in jeder europäischen Hauptstadt deutlich höher.
In ruhigen Zeiten, wenn die Strände in Ägypten voll sind, fahren jeden Tag Hunderte von Bussen von der Küste nach Luxor oder an Kairo. Tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit, in solch einem Reisebus durch einem Unfall ums Leben zu kommen, einige Tausend mal höher, als bei einem Anschlag auch nur verletzt zu werden.
Tourismus stützt die Länder
Aber jetzt mal abseits von Angst und politischer Korrektheit – warum sollte man den in solchen Ländern überhaupt Urlaub machen? Weil es dort schön ist klar. Aber es gibt noch einen ganz anderen Grund. Jeder Euro, der in diese Länder getragen wird, hilft ihnen, sich zu stabilisieren. Der IS ist dort stark, wo er Leute in der Armut oder am unteren Ende der sozialen Leiter rekrutieren kann. Die Not ist der ideale Nährboden. In Ägypten sorgt die Tourismusindustrie direkt und indirekt für etwa vier Millionen Arbeitsplätze. Bedenkt man, dass im Durchschnitt zwischen fünf bis zehn Personen an diesem einen Lohn in dem Wirtschaftszweig hängen, dann wird die Rechnung dramatisch. Von 90 Millionen Ägyptern sind dann etwa ein Drittel vom Tourismus abhängig. Ohne den Tourismus wird das Land vielleicht nicht gleich zusammenbrechen, ist aber dem Zusammenbruch ein erhebliches Stück näher. Aus Syrien befinden sich etwa drei Millionen Menschen auf der Flucht. Würde Ägypten zusammenbrechen, dann kämen noch einmal wenigstens 30 Millionen dazu.
Werben für das Lieblingsland
Taucher haben ja den Ruf, recht unerschrockene Leutchen zu sein. Für sie ist es ein Leichtes, auch in solchen Tagen eine Reise ans Lieblingsriff zu buchen. Aber darüber hinaus kann jeder noch etwas anderes tun: Offensiv für sein bevorzugtes Ziel zu werben, seien es für die Malediven, sei es für Ägypten. Jeder Tourist stärkt diese Länder und stärkt deren Gesellschaft – und macht es islamistischen Rattenfängern letztlich schwerer.
Peter S. Kaspar