Biotop Ölbohrinsel

Verblüffende Zahlen zu künstlichen Riffen

Es ist fast 20 Jahre her, da feierte die Umweltschutz-Organisation Greenpeace eine ihrer erfolgreichsten Kampagnen überhaupt – und leitete damit vermutlich eine Tragödie für die Nordsee ein. Am 30. April 1995 besetzten Aktivisten von Greenpeace die Ölplattform Brent Spar auf halbem Wege zwischen den Shettland-Inseln und Norwegen. Die Brent Spar war ein schwimmender, 100 Meter langer Tank, der von den Mineralölfirmen Shell und Esso betrieben wurde. Die Plattform hatte ausgedient und sollte nun an Ort und Stelle verdenkt werden. Doch das wollte Greenpeace nicht zulassen. Die Umweltschutzorganisation versuchte an der Brent Spar ein Exempel zu statuieren, um das künftige Versenken von Ölplattformen in der Nordsee zu verhindern.

Boykott und falsche Zahlen

Brent_Spar_under_construction_(1975)In einer beispiellosen Kampagne, die vor allem in Deutschland großen Widerhall fand, wurde Shell (erstaunlicherweise aber nicht Esso) an den Pranger gestellt. Dem Tankstellenboykott von Shellstationen schlossen sich zahlreiche Menschen an. Die Wut auf Shell war am Ende so groß, dass in Hamburg sogar eine Tankstelle des Ölkonzerns angezündet wurde. Die Zahlen klangen auch furchterregen. Rund 5.500 Tonnen Ölrückstände und Gifte sollten sich noch in der Plattform befinden und hätten dann das Zeug dazu gehabt, die halbe Nordsee zu vergiften. Tatsächlich hatten die Besetzer an einem verstopften Staurohr gemessen. Shell selbst hatte stets nur von maximal 100 Tonnen gesprochen. Tatsächlich waren die Rückstände sogar noch geringer. Shell bot nun an, die Plattform in einer Tiefseespalte im Nordatlantik zu versenken, was angesichts der dortigen Verhältnisse von Fachleuten, Wissenschaftlern und Ökologen als durchaus umweltverträglich und sinnvoll erachtet wurde. Doch Greenpeace setzte durch, dass die Brent Spar in einen norwegischen Fjord geschleppt wurde, um dort verschrottet zu werden.

Erst später entschuldigte sich Greenpeace für die falsche Messung, als nämlich offenbar wurde, dass die NGO mit völlig falschen Zahlen operiert hatte. Doch der Kreuzzug war damit noch nicht beendet. Es gelang Greenpeace die Mitglieder der OSPAR-Gruppe – den Anrainerstaaten der Nordsee und des östlichen Nordatlantiks – dazu zu bewegen, ein allgemeines Versenkungsverbot vor Ölplattformen in Nordee und Nordatlantik zu beschließen. Schon damals hatte sich Kritik an der Umweltschutzorganisation geregt, der der Schutz der Nordsee offenbar nicht sonderlich am Herzen lag. Eine Versenkung der Brent Spar vor Ort, so die Argumentation, hätte der ein künstliches Riff geschaffen und so einen dringend benötigten Schutzraum für Nordseefische gegeben.

Zwanzig Jahre lang wurde die Nordsee weiter leer gefischt. Die Fangerträge gingen kontinuierlich zurück. Was sich noch einigermaßen lohnt, ist die sogenannte Gammelfischerei. Was da in die Netze gerät, wird zu Fischmehl verarbeitet. Gegen die Gammelfischerei, bei der mit riesigen Netzen der Meeresboden buchstäblich umgepflügt wird, hatte sich vor rund 20 Jahren auch Greenpaece gewandt. Es wäre also ja durchaus sinnvoll gewesen, den Trawlern ein paar große Hindernisse in den Weg zu legen. Ein Hindernis, etwa in der größe der Brent Spar. Doch während die Brent-Spar-Kampagne-Greenpeace die klammen Kassen mit Spendengelder füllte, brachte die kleine Anti-Gammelfischerei-Kampagne kaum etwas Zählbares ein.

Mehr Fisch als an natürlichen Riffen

Künstliche Riffe gibt es heute an vielen Orten der Erde. In der Nordsee erholen sich die Fischbestände überall dort, wo künstliche Strukturen, wie etwa Großwindkraftanlagen oder Ölplattformen stehen. Doch eine Studie aus Kalifornien hat geradezu sensationelle Ergebnisse gebracht. Die Bedeutung der Platformen geht nämlich weit über die Funktion von Schutzräumen hinaus. In den USA hatte man an verschiedenen Stellen zwischen fünf und 15 Jahre geforscht, um nicht den gleichen Fehler, wie in der Nordsee zu machen. Für das Prohjekt „Riggs to reefs“, etwa „Plattformen zu Riffen“, sollte untersucht werden, wie sich das maritime Leben an solchen künstlichen Strukturen verändert. Dass sich an versenktem Equipment schnell jede Menge Leben ansiedelt, weiß jeder, der schon einmal ein Wrack betaucht hat. Auch Stege oder Jettys sind Stätten des wimmelnden und vielfältigen Lebens. Doch die Zahlen, die nach diesen Untersuchungen im Raum stehen, haben selbst Fachleute verblüfft. Der Fischreichtum ist dort um sage und schreibe bis das 27-fache größer, als an natürlichen Riffen, wie etwa Feldenriffen. Die Wissenschaftler erklären sich dass damit, dass durch die vielen Längs- und Querverstrebungen eine enorm große Oberfläche geschaffen werde, an der sich Leben ansiedeln kann.

DCIM100GOPROSchon seit längerer Zeit entstehen vor allem in Amerika immer neue künstliche Riffe. Entweder werden Plattformen versenkt oder Schiffe. Dort gedeiht nicht nur ein reichhaltiges und farbenfrohes Leben. Manchmal sind solche Aktionen nicht nur ökologisch sondern auch ökonomisch ein Riesenerfolg. Nämlich dann, wenn ein Wrack zu einer Touristenatraktionen wird, wie etwa die USS Vandenberg, die inzwischen als unumstrittener Höhepunkt den „Florida Wreck-Trail“ bereichert. Die Vandenberg mit ihren 160 Metern Länge wird heute als größtes Schiff gepriesen, das bislang als künstliches Riff versenkt wurde.

Insgesamt gibt es auf dem Globus derzeit etwa 7500 Öl- und Gasplattformen. Viele von ihnen würden sich als künstliche Riffe eignen. Etwa zehn Prozent von ihnen stehen in den Nordsee. Kaum ein Meer hätte künstliche Riffe so dringend nötig, wie die relativ flache und weitgehend leer gefischte Nordsee. Doch ausgerechnet hier darf nichts versenkt werden. Das Versenkungsverbot von 1998 gilt nämlich nach wie vor. Ausgediente Plattformen dürften auch nicht einfach stehen bleiben. Sie müssen per Gesetz von Betreiber zerlegt und abgebaut werden. Das führt zu der absurden Situation, dass damit auch blühende Biotope beseitigt werden. Das ist eine direkte Folge der Greenpaece-Kampagne von 1995. Noch im Jahr 2009 hat Greenpaece auf seiner Homepage das Versenkungsverbot  als großen Erfolg verbucht.

Peter S. Kaspar

Fotos: psk/ Quistnix-wp